DHI Warschau
Rettung der Juden während des Zweiten Weltkrieges in kontemporären europäischen Museen
Projektbeginn: 2019
Antragsteller/-in, Sprecher/-in, Projektleitung: Zofia Wóycicka
Themengebiet: Geschichte allgemein
Ort: Deutschland, Europa, Polen
Epoche: Neuzeit
In den letzten zwei Jahrzehnten wurde in verschiedenen Ländern Europas eine bemerkenswerte Anzahl von Museen errichtet, die Menschen gewidmet sind, die während des Zweiten Weltkriegs Juden geholfen haben. Sie sind Ausdruck des wachsenden internationalen Interesses an diesem Aspekt der Geschichte des Holocausts. Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene erlebt das Thema der Judenrettung eine außergewöhnliche Konjunktur. So betonte man in der Stockholmer Erklärung die von der Task Force im Jahr 2000 angenommen wurde, wie wichtig es sei, die Erinnerung an jene selbstlosen Menschen zu bewahren, „die sich den Nazis widersetzten und manchmal gar ihr Leben ließen, um Opfer des Holocaust zu schützen oder zu retten“. Im Jahr 2007 unterzeichneten die Mitgliedsstaaten des Europarates eine Feierliche Hommage an die „Gerechten“ Europas. 2012 erklärte das Europäische Parlament den 6. März zum Europäischen Tag des Gedenkens an die Gerechten. Darüber hinaus wurden in den letzten zwei Jahrzehnten in mehreren Ländern Europas Gesetze und offizielle Feiertage eingeführt sowie staatliche Zeremonien zur Ehrung der nationalen Gerechten abgehalten.

Das Thema Judenrettung ist nicht nur von historischer Bedeutung, sondern hat auch im Bereich der politischen Bildung eine hohe Relevanz. Folgt man der These von Natan Sznaider und Daniel Levy, so ist die Entstehung der „kosmopolitischen Erinnerung“ in Bezug auf den Holocaust u.a. auf die Entwicklung des Menschenrechtsdiskurses und die damit einhergehende Universalisierung der Geschichte zurückzuführen. Vergangenheit wird danach zunehmend als ein Reservoir von Rollenmodellen (oder –Gegenmodellen) für die Gegenwart und Zukunft verstanden. In diesem Zusammenhang kann man auch die Konjunktur für das Thema „Gerechte“ betrachten, die sehr klare Vorbilder zu bieten scheinen. Die Erörterung der Dilemmas, mit denen die Helfer und die Hilfsempfänger konfrontiert waren, kann aber auch ein besseres Geschichtsverständnis schaffen und dazu dienen, gerade die schwierigen Fragen der Indifferenz, Mitbeteiligung und Bereicherung am Holocaust auf eine zugängliche Weise zu vermitteln. Darüber hinaus können die Rettungsgeschichten Dialog und Aussöhnung zwischen ehemals verfeindeten ethnischen oder religiösen Gruppen fördern.

Gleichzeitig lassen sich aber „die Gerechten“ auch leicht erinnerungspolitisch vereinnahmen. Mit der zunehmenden Fokussierung auf den Holocaust rückten in den 1990er Jahren auch Fragen der Kollaboration, Mitbeteiligung und Profitierung an und von dem Völkermord auch anderer Gesellschaften als der deutschen in den Vordergrund. In diesem Zusammenhang können Initiativen zur Ehrung der Gerechten auch als Versuche gedeutet werden die unbequemen Debatten zu neutralisieren.

Allerdings lässt sich die europa- oder gar weltweite Konjunktur für das Thema Gerechte nicht allein mit der aktuellen Erinnerungspolitik erklären. Eine entscheidende Rolle spielen dabei auch die Massenmedien. Ein zentrales Ereignis der Popkultur, das die Erinnerung an den Holocaust in Europa und den USA maßgeblich prägte, war der Kinostart von Steven Spielbergs Schindlers Liste (1993). Der Film wurde von vielen Millionen Menschen auf der ganzen Welt gesehen und lenkte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nicht nur auf den Völkermord an den Europäischen Juden, sondern auch auf Menschen, die den Verfolgten halfen.

In dem Projekt wird eine vergleichende Analyse von elf Museen in acht Ländern Europas unternommen, die in den letzten zwei Jahrzehnten errichtet wurden (zwei von ihnen befinden sich noch im Bau) und Menschen gewidmet sind, die während des Zweiten Weltkrieges Juden geholfen haben:
1) Dimiter Peshev Museum in Kyustendil/Bulgarien (2002, Neugestaltung 2013)
2) Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt in Berlin/Deutschland (2006)
3) Gedenkstätte Stille Helden in Berlin/Deutschland (2008, Neugestaltung 2018)
4) Staatliches Jüdisches Museum Gaon von Vilnius/Litauen (Dauerausstellung: Rescued Lithuanian Jewish Child Tells about Shoah, 2009)
5) Žanis Lipke Memorial in Riga/Lettland (2012/13)
6) Lieu de Mémoire au Chambon-sur-Ligon/Frankreich (2013)
7) Tadeusz Pankiewicz Apotheke in Krakau/Polen (1983, letzter Umbau 2013)
8) Żabiński Villa im Warschauer Zoo/Polen (2015)
9) Ulma Museum der Polen die während des Zweiten Weltkrieges Juden gerettet haben in Markowa/Polen (2016).
10) Villa Emma Nonantola Stiftung/Italien (Dauerausstellung Jewish Children of Villa Emma, 2001/2014, zurzeit im Umbau).
11) Memorial of the Shoah and Oskar Schindler, Brněnec/Tschechische Republik (im Aufbau)

Hier werden Museen als Medien nationaler Erinnerungskulturen betrachtet. Gleichzeitig wird versucht den Moment der Kristallisierung einer europäischen oder gar „kosmopolitischen“ Erinnerung an den Holocaust festzuhalten. Ausgehend von Sharon Macdonald’s These von der "Glokalisierung" der europäischen Erinnerung, also der „lokalen Überarbeitung globaler Muster“, steht das Ziel, die Auswirkungen medial tradierter Geschichtsbilder, sowie der Erinnerungspolitik der Europäischen Union und anderer europäischer und internationaler Akteure auf nationale und lokale Institutionen zu untersuchen. Auch der Einfluss globaler Trends in der Entwicklung historischer Museen und Ausstellungen, insbesondere von Holocaustmuseen und –Gedenkstätten soll in Betracht gezogen werden. Gleichzeitig wird versucht die Eigenheiten der Gerechten-Narrative in den jeweiligen Museen zu erfassen. Im Fokus der Analyse steht dabei nicht nur die textuelle Ebene der Expositionen, sondern auch ihre Form oder – besser gesagt – die Frage, wie diese das Narrativ beeinflusst.