"Forschen, Qualifizieren, Vermitteln."

Neuausrichtung des DHI Paris

Die Deutschen Historischen Institute im Ausland sind seit langem ein fester Bestandteil der deutschen Hochschul- und Wissenschaftslandschaft. Als solche sind jedoch auch sie seit gut zehn Jahren mit den tiefgreifenden Veränderungen konfrontiert, die sich in der internationalen Wissenschaftslandschaft vollzogen haben.

Durch die Exzellenzinitiative und die Wissenschaftsfreiheitsgesetze haben sich die Rahmenbedingungen wissenschaftlichen Arbeitens, Forschens und Qualifizierens in der unmittelbaren Vergangenheit so grundlegend geändert wie zuletzt nur in den Jahren nach 1968. Geändert haben sich aber auch die Organisationsstrukturen der Auslandsinstitute selbst, die nun weit stärker als früher Aspekte des Wandels in ihre Arbeit einbeziehen müssen: Ebenso, wie die Amtszeiten der Direktorinnen und Direktoren auf fünf, bzw. maximal zehn Jahre befristet sind, werden auch die Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur mit zeitlich befristeten Arbeitsverträgen eingestellt. Die notwendige Wiedereingliederung in das deutsche Hochschulsystem muss deshalb so früh und gut wie möglich von Institutsseite aus vorbereitet werden. Auch wenn man die Entwicklungen und aktuellen Trends der Forschungsorganisation, wie sie zuletzt gerade noch in der Exzellenzinitiative zum Ausdruck gekommen sind, kritisch beurteilt, wird man an der Einsicht kaum vorbei kommen, dass sich die Auslandsinstitute – wie im Übrigen alle Wissenschaftsinstitutionen – in Zeiten solcher Umbrüche einer Standortbestimmung und Neupositionierung unterziehen müssen.

Wie sollen die Auslandsinstitute auf die hier nur grob skizzierten Entwicklungen reagieren? Als ich mein Amt als Direktorin des Deutschen Historischen Instituts Paris im Herbst 2007 antrat, kristallisierte sich diese Frage schon bald als Kernstück und Ausgangspunkt aller geplanten Aktivitäten heraus. Zum Zeitpunkt der Rückkehr auf meinen Lehrstuhl zur Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität zu Köln zum 1. November 2012 ist nun der Moment gekommen, eine erste Bilanz zu ziehen.

Am Anfang meiner Amtszeit stand ein Leitbildprozess, an dem alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des wissenschaftlichen wie nichtwissenschaftlichen Dienstes teilgenommen haben. Wohin geht der künftige Weg des DHI Paris? Die drei prägnanten Begriffe "Forschen – Vermitteln – Qualifizieren", die nun das Leitbild des Instituts zusammenfassen, haben dem geplanten Neuausrichtungsprozess Ziel und Struktur verliehen. Eine zentrale Rolle im Kontext der entsprechenden Aktivitäten und Initiativen spielte der im Jahre 2008 eingestellte wissenschaftliche Koordinator des DHI Paris. Mit Stephan Geifes konnte ein profilierter deutsch-französischer Wissenschaftsmanager für diese neu geschaffene Stelle gewonnen werden: Aufgrund seiner Erfahrungen als ehemaliger Leiter der Pariser Außenstelle des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) sowie als Generalsekretär der Deutsch-Französischen Hochschule hat er sich schnell zu einem zentralen Ansprechpartner für alle Fragen der Antrags- und Karriereplanungen des Hauses entwickelt. Dabei hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, gerade die im Wissenschaftsbereich noch vielfach unerfahrenen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler schon in einem frühen Stadium ihrer Laufbahn kompetent zu beraten und unter anderem auf die einschlägigen nationalen wie internationalen Förderprogramme des DAAD, der Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) oder des Europäischen Forschungsrates (ERC) zu verweisen.

Was verbirgt sich hinter dem Leitbild des DHI Paris?

Forschen

Der Schwerpunkt der Tätigkeit des DHI Paris liegt natürlich nach wie vor auf dem Bereich der Forschung: Die in beiden Wissenschaftskulturen verankerten Historikerinnen und Historiker des Instituts arbeiten zu zahlreichen Themen der westeuropäischen Geschichte von der Spätantike bis zur Gegenwart. Klassische Forschungsprojekte außeruniversitärer Forschung sind bekanntlich Langzeitprojekte, insbesondere Editionsprojekte, wie sie etwa an Akademien angesiedelt sind. Am DHI Paris wird als ein solches Projekt seit den 1970er Jahren die bereits auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurückgehende Erschließung und Edition der französischen Papsturkunden vor Innocenz III. (1198–1216) betrieben. Eingebunden ist die Gallia Pontificia in das von der Göttinger Akademie der Wissenschaften betreute Göttinger Papsturkunden-Werk, das von Klaus Herbers als Sekretär der Piusstiftung koordiniert wird. Dieses Langzeitunternehmen wurde in den vergangenen Jahren auf neuer Grundlage fortgesetzt, indem es wie alle anderen mittelfristigen Forschungsvorhaben in ein "machbares" Projekt mit klaren, zeitlich eingegrenzten Teilabschnitten verwandelt wurde. Keine Forschung kommt ohne "Forschungssteuerung" aus, die im Interesse der Ergebniswahrung mit Mitteln wie Budgetplanung und Berichtswesen betrieben werden sollte und einen wesentlichen Beitrag zur internen Qualitätssicherung leistet. Zur Qualitätssicherung gehört am DHI Paris ferner auch die Einbeziehung des Wissenschaftlichen Beirats in die Forschungsaktivitäten und die jährliche Programmkonferenz des Instituts.

Bei den neueren, seit der Jahrtausendwende laufenden Forschungsvorhaben stehen mittlerweile allerdings nicht mehr Editions-, sondern vielmehr Erschließungsprojekte zu umfangreichen, zugleich aber überschaubaren Quellenkorpora im Vordergrund, die für die deutsch-französische Fachcommunity von besonderer Relevanz sind. Hier seien vor allem die neuen Projekte zur Interalliierten Rheinlandkommission, zur Erschließung der Korrespondenz der Constance de Salm sowie des Nachlasses des Herzogs Emmanuel de Croy genannt.

Vermitteln

Das DHI Paris nimmt seine Vermittlungsaufgabe zwischen der deutschen und französischen Wissenschaftslandschaft auf vielfältige Weise wahr; sei es über regelmäßige Veranstaltungen, seine große und gut ausgestattete Bibliothek oder über die zahlreichen Print- und Online-Publikationen (Pariser Historische Studien, Francia, Beihefte der Francia, Trivium). Rhythmus und Zahl der Veranstaltungen haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Mit jährlich weit über 100 Konferenzen, Vorträgen, Ateliers und Seminaren ist das Institut zu einem offenen Haus geworden. Die vielen positiven Reaktionen auf die neuen Facebook-, Blog- und Twitteraktionen des DHI Paris zeigen zugleich, wie sinnvoll es ist, wissenschaftlichen Nachwuchs auch über Kanäle der Social Media zu erreichen.

Über all das bereits Beschriebene hinaus hat sich das Institut seit dem Jahr 2008 immer wieder an jährlichen deutsch-französischen wissenschaftspolitischen Veranstaltungen beteiligt, bei denen Themen wie "Nachwuchsförderung", "Digitalisierung der Fachzeitschriften" oder "universitäre versus außeruniversitäre Forschung" zur Debatte standen. Seit 2008 werden regelmäßig "Tage der Geisteswissenschaften" und "Tage der Digital Humanities" am DHI Paris veranstaltet, an denen Fachkolleginnen und -kollegen und Vertreterinnen und Vertreter internationaler Forschungsförderorganisationen teilnehmen. Es ist dem DHI Paris dadurch gelungen, auch als ein Ort des Nachdenkens über die Zukunft der Geisteswissenschaften in einem internationalen Umfeld bekannt zu werden. Wichtig sind dem Institut die zahlreichen Kooperationen und Partnerschaften, die es mit französischen Historikerinnen und Historikern und Forschungseinrichtungen wie unter anderem den französischen Pendants zum DHI Paris in Deutschland, dem Institut français d’histoire en Allemagne in Frankfurt am Main oder dem Centre Marc Bloch in Berlin verbinden.

Qualifizieren

Da die Forschungsprojekte des DHI Paris heute, wie eingangs schon skizziert, in aller Regel von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit zeitlich befristeten Arbeitsverträgen betrieben werden, kommt der Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses eine zentrale, wenn nicht gar die entscheidende Bedeutung zu. Die Neuausrichtung des Instituts konzentrierte sich in den letzten fünf Jahren daher sowohl auf die Neukonzeption wissenschaftlicher Mitarbeitertätigkeit im Rahmen neuer, international besetzter Schwerpunktforschergruppen, in denen Promovenden und Postdoktorandinnen und Postdoktoranden zusammenarbeiten (a.), als auch auf die Neuausrichtung der Fellow- und Stipendienprogramme (b.) sowie schließlich die Organisation von Fachkursen (c.) und ein umfangreiches Fortbildungsprogramm (d.).

a) Infolge der stiftungsweiten Umwidmung der Wissenschaftlerstellen von Daueranstellungen auf befristete Beschäftigungsverhältnisse hat das DHI Paris speziell zur Frage der Finalität der Post-Doc-Phase ein Konzept erarbeitet und umgesetzt. Danach werden Post-Doc-Phasen am DHI Paris als Beitrag zur Internationalisierung des deutschen Hochschullehrernachwuchses begriffen. Um die strukturellen "Nachteile" der DHIs als außeruniversitäre, nicht promovierende oder habilitierende Einrichtungen im Ausland in einen Wettbewerbsvorteil für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler umzuwandeln, sieht dieses Konzept eine enge Kooperation mit deutschen Universitäten vor, in dem die stark in die Lehre eingebundenen Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Assistentinnen und Assistenten für den Zeitraum von ein bis drei Jahren nach Paris entsandt werden können. Dieses Modell hat drei Vorzüge: Für die Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst, die am DHI Paris die besten Bedingungen und Freiräume für ihre Arbeit finden, bleibt der Kontakt zur Lehre und zum geplanten Habilitationsort gewahrt, und die Rückkehr ins deutsche Universitätssystem ist garantiert. Die deutschen entsendenden Universitäten können zugleich auf einer Assistentenstelle, mithin innerhalb von sechs Jahren, zwei Post-Docs habilitieren. Doch in letzter Instanz profitiert auch das DHI Paris sehr von dieser Regelung, die es erlaubt, die "besten Köpfe" temporär an das Institut zu holen und ihnen dort die für die Forschung notwendigen Freiräume zu schaffen.

b) Parallel hierzu wurde das bisher auf bis zu sechs Monatsstipendien ausgelegte Stipendienprogramm des Instituts nach den Maßgaben einer Forschungseinrichtung im Gegensatz zu einer reinen Förderinstitution umstrukturiert. Im Zentrum stehen dabei nun einerseits sogenannte Forschungs- und Kurzzeitstipendien, die zugleich dank intensiver Beratungstätigkeit des Wissenschaftskoordinators als Sprungbrett für weitere Antragstellungen bei einschlägigen Fördereinrichtungen wie etwa der AvH genutzt werden können. Die in der Regel einen Zeitraum von drei Jahren umfassenden Vollpromotionsförderungen des DHI Paris im Rahmen der Forschergruppen konnten andererseits in Kooperation mit der renommierten geisteswissenschaftlichen Pariser Hochschule l‘École des hautes études en sciences sociales (EHESS) erfolgreich auf das Modell der französischen "contrats doctoraux" umgestellt werden, die für die Doktoranden eine Sozial- und Rentenversicherung nach französischem Recht beinhalten. Darüber hinaus wurde ein differenziertes Fellowprogramm eingeführt, das etwa deutschen Hochschullehrerinnen und -lehrern sowie Assistentinnen und Assistenten in der vorlesungsfreien Zeit durch die Bereitstellung von Gästezimmern die Durchführung von Forschungsvorhaben in Paris ermöglicht. Nach dem international verehrten Mediävisten und langjährigen Direktor des DHI Paris, Karl Ferdinand Werner, benannt, ist das KFW-Fellow Programm am DHI Paris in nur zwei Jahren zu einer festen Größe für die Mobilität von Professorinnen und Professoren sowie Assistentinnen und Assistenten geworden. Durch diese Maßnahmen wurde die Rückbindung des Instituts an die deutsche Historikerzunft signifikant gefördert.

c) Ein großer Erfolg ist auch der seit 2009 jährlich zusammen mit dem Deutschen Forum für Kunstgeschichte Paris durchgeführte Fachsprachkurs Französisch mit Einführung ins französische Wissenschaftssystem und die Pariser Bibliotheks- und Archivlandschaft. Rund 150 deutschen Professorinnen und Professoren, Assistentinnen und Assistenten sowie Doktorandinnen und Doktoranden wurde dadurch seither eine vertiefte Beschäftigung mit der französischen Historiographie ermöglicht.

d) Zusätzlich wurde ein umfangreiches, mehrjähriges Fortbildungsprogramm für die (Nachwuchs-) Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Hauses organisiert, das von Schreib-, Lese- und Selbstorganisationseminaren bis hin zu Informations- und Beratungsveranstaltungen zu aktuellen Entwicklungen wissenschaftlicher Karrieren (Kanzlervorträge, Deutscher Hochschulverband) reichte. Durch die Ausrichtung seines Grundauftrags der Forschung auf die Qualifizierung des Nachwuchses und die Vermittlung zwischen der deutschen und französischen Geschichtswissenschaft in einem internationalen Umfeld hat das DHI Paris in den letzten Jahren seine Rückbindung an die universitäre Forschung nachdrücklich gestärkt. Sowohl aus der Sicht der "Noch-DHI-Direktorin" als auch der "Bald-wieder-Hochschullehrerin" erscheint mir dies die beste Zukunftsversicherung für das DHI Paris zu sein.

Gudrun Gersmann ist seit 2004 Inhaberin des Lehrstuhls für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität zu Köln. Seit 2007 leitet sie das Deutsche Historische Institut Paris.